Der Ausbau der Photovoltaik gilt als zentraler Baustein der Energiewende – doch ein enormes Potenzial liegt bislang brach: Mieterstrom. Dabei handelt es sich um Solarstrom, der direkt vom Dach eines Mehrfamilienhauses in die Wohnungen der Mieter fließt – günstig, nachhaltig und ohne Umweg über das öffentliche Netz. Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt nun: Mieterstrom könnte bis zu 20 Millionen Wohnungen versorgen – doch die Realität sieht anders aus.
Was ist Mieterstrom überhaupt?
Beim Mieterstrom-Modell installiert der Eigentümer eines Mehrfamilienhauses eine Photovoltaikanlage auf dem Dach und verkauft den erzeugten Strom direkt an die Mieter. Der große Vorteil:
Da der Strom nicht durch das öffentliche Netz geleitet wird, entfallen Netzentgelte, Stromsteuer sowie Umlagen. Das macht Mieterstrom deutlich günstiger als herkömmlichen Haushaltsstrom – ideal in Zeiten hoher Energiepreise.
Auch für die Eigentümer lohnt sich der Betrieb: Laut der IW-Studie ist eine Rendite von bis zu 18,5 % möglich – insbesondere dann, wenn die Anlage gut auf den Verbrauch abgestimmt ist und ein Großteil der Mieter am Modell teilnimmt.
Enormes Potenzial – bislang ungenutzt
Die Zahlen sind beeindruckend: Bis zu 60 Gigawatt PV-Leistung könnten durch Mieterstromprojekte erschlossen werden – das entspricht fast einem Drittel des Photovoltaik-Ausbauziels bis 2030.
Technisch wären mehr als 3 Millionen Mehrfamilienhäuser für Mieterstrom geeignet.
Doch Stand heute sind bei der Bundesnetzagentur nur rund 5.400 Mieterstromanlagen registriert – bei insgesamt über vier Millionen PV-Anlagen in Deutschland. Ein klares Zeichen dafür, dass das Modell noch ein Schattendasein fristet.
Warum wird Mieterstrom so selten genutzt?
Die Antwort liefert Dr. Ralph Henger, Mitautor der IW-Studie:
„Vor allem bürokratische Hürden bremsen den Ausbau.“
Die komplexe Strommessung, aufwendige Genehmigungsprozesse und fehlende Digitalisierung bei Zählerwechseln machen es für Vermieter unattraktiv, in Mieterstromprojekte zu investieren. Hinzu kommt eine unzureichende politische Förderung, die Netzstrom gegenüber lokal erzeugtem Solarstrom weiterhin bevorzugt.
Mieterstrom als Schlüssel für Wärmewende und Mobilität
Besonders zukunftsweisend wird Mieterstrom in Kombination mit Wärmepumpen und Elektromobilität:
Ein Mehrfamilienhaus, das nicht nur seinen Strom, sondern auch Wärme und Ladeinfrastruktur selbst erzeugt, entlastet das öffentliche Netz, senkt die Betriebskosten und leistet einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz.
Was jetzt passieren muss
Damit Mieterstrom sein volles Potenzial entfalten kann, sind laut IW-Studie konkrete Reformen notwendig:
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- Digitale Standardprozesse bei der Anmeldung von PV-Anlagen und beim Zählerwechsel
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- Vereinfachte Abrechnungssysteme für Stromlieferungen im Haus
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- Zielgerichtete Förderprogramme, die den Betrieb von Mieterstromanlagen attraktiver machen
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- Eine klare Bevorzugung dezentraler Energieversorgung gegenüber Netzstrom
Die Autoren der Studie empfehlen, jetzt entschlossen zu handeln – sonst bleibt eines der wichtigsten Instrumente der dezentralen Energiewende ungenutzt.
Literaturhinweis: Vertiefendes Gutachten zum Thema
Für alle, die sich tiefer mit den Potenzialen und Herausforderungen des Mieterstroms befassen möchten, empfehlen wir das umfassende Gutachten von Andreas Fischer und Dr. Ralph Henger im Rahmen des Ariadne-Kopernikus-Projekts:
Titel: Gebäude- und Mieterstrom in Deutschland: Potenziale, Wirtschaftlichkeit und regulatorische Handlungsansätze
Veröffentlichung: 4. Oktober 2025
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Fazit: Mieterstrom ist mehr als nur ein Trend
In einer Zeit, in der Energiepreise, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit immer mehr miteinander verwoben sind, bietet Mieterstrom eine der seltenen Lösungen, die alle Beteiligten profitieren lässt – Mieter, Vermieter und Umwelt.
Was jetzt fehlt, ist nicht die Technik – sondern der politische Wille, bürokratische Hürden abzubauen und klare Anreize zu setzen.
Denn eines ist sicher: Die Dächer unserer Städte sind zu wertvoll, um ungenutzt zu bleiben.